Warum sind „Strukturierte Behandlungsprogramme“ (DMP) in Österreich wenig verbreitet?

Zunächst ein paar Zahlen. Aktuell werden in Deutschland 6,6 Mio. chronisch kranke Menschen strukturiert versorgt (8,0% der Bevölkerung – LINK). In Österreich sind grad mal 65.000 Menschen in DMPs eingeschrieben (0,75% – LINK). Auch bei der Vielfalt von DMPs hat Deutschland die Nase vorne. Dort beschäftigen sich zwei Programme mit Diabetes (Typ 1 u. Typ 2) und vier weitere Programme mit Asthma, COPD, Herzkreislauf-Erkrankungen u. Brustkrebs. In Österreich wird dagegen nur ein einziges Programm angeboten, nämlich „Therapie aktiv“ (Diabetes-DMP – LINK). Vergleicht man die Diabetes-Einschreiberaten, sind auch hier die quantitativen Unterschiede eklatant. Auf der einen Seite Deutschland, wo mehr als jeder zweite Diabetiker strukturiert versorgt wird. Auf der anderen Seite Österreich, wo nur knapp jeder zehnte Diabetiker in einem DMP ist. Und das, obwohl “Therapie aktiv” eigentlich erfolgreich ist…

Abb. 1: Diabetes-DMP: Österreich vs. Deutschland

Gründe für den deutschen Vorsprung gibt es einige, hier die wahrscheinlich wichtigsten => 1) Fehlende “Finanzierung aus einer Hand”, 2) fehlende morbiditätsorientierte finanzielle Anreize u. 3) fehlender Wettbewerb

1)  Fehlende „Finanzierung aus einer Hand“. Einsparungen kommen nicht bei der Kasse an.

Große Einsparungen werden durch die strukturierte Versorgung in der Regel im stationären Bereich erzielt, da KH-Aufenthalte vermieden werden können oder kürzer ausfallen. Sehr schön hat man das bei der Evaluierung von “Therapie aktiv” (LINK) gesehen. Zwar sind die jährlichen Arztkosten  durch die Strukturierung etwas angestiegen  (+76 Euro je Versicherten). War zu erwarten, da wahrscheinlich zusätzliche Koordinierungskosten durch den Arzt. Der Anstieg wurde aber durch eine jährliche 3-stellige Ersparnis je Versicherten im stationären Bereich mehr als kompensiert (-796 Euro). Geringere Ausgaben für DMP-Teilnehmer wurden auch bei Krankentransportkosten (-35 Euro) und Arzneimitteln (-57 Euro) erzielt. Therapie aktiv ist also durchaus ein Erfolg.

Abb. 2: Einsparungen durch “Therapie aktiv”

Soweit so gut, insgesamt eine Ersparnis von 813 Euro pro Jahr und Versicherten. Jetzt kommt das „Aber“. Die öst. Kassen haben nur kaum etwas von den Einsparungen,  da die Finanzierung des stationären Bereichs bekanntlich die Länder über haben. Kurz gesagt: die Kassen haben die Arbeit und die Länder die Ersparnis. In Deutschland ist das anderes, dort müssen die Kassen nämlich auch die Krankenhäuser finanzieren (Finanzierung aus einer Hand), wodurch die Ersparnis durch die DMPs 1:1 bei den Kassen ankommt.

2)  Fehlende morbiditätsbasierte Finanzierungsanreize der öst. Kassen

Gerade hab ich die stärkere Verbreitung der DMPs in Deutschland mit der Finanzierung aus einer Hand erklärt, welche Anreize auf der Ausgabenseite setzt. Es gibt aber auch einen wichtigen Grund auf der Einnahmenseite. Während sich österreichische Kassen nämlich durch die Forcierung von DMPs keine zusätzlichen Einnahmen erwarten können, werden die deutschen Kassen durch die morbiditätsorientierte Finanzierung motiviert, DMPs zu nutzen, was zusätzliche Einnahmen garantiert. Die DMPs führen nämlich in der Regel neben einer besseren Versorgung auch zu einer besseren Diagnose-Dokumentation von Diabetes-Versicherten. Und ein gut dokumentierter Diabetes-Fall bringt deutschen Kassen zusätzlich 400 bis 10.000 Euro – je nach Schweregrad. Also kein schlechter Anreiz, sich verstärkt mit der strukturierten Versorgung zu beschäftigen.

3) Fehlender Wettbewerb. Kaum Innvoationen. Kassen können nicht in Konkurs gehen.

Ein entscheidender Faktor für Versorgungsinnovationen ist natürlich auch der Kassen-Wettbewerb, auch wenn man das in den Kammern und er SV nicht hören will. Anfang der 1990er Jahre war das deutsche Gesundheitssystem dem aktuellen österreichischen System sehr ähnlich. Lediglich fragmentiert solidarisch, massive Leistungsunterschiede, kein Wettbewerb. Spätestens seit 1994 hat sich das deutsche System aber extrem zum Positiven gewandelt. Finanzielle Verteilungerechtigkeit (RSA ab 1994) und Kassenwettbewerb (ab 1996) haben einen gewaltigen Innovationsschub gebracht (siehe Abb. 3). Seither matchen sich die Kassen darum, wer besser versorgt. Denn wer einen Versorgungsvorteil hat, spart Kosten und kann unter Umständen sogar seine Beiträge senken. Diesbezüglich sind die DMP-Programme einer der größeren Hebel, die deutsche Kassen zur Versorgungssteuerung in der Hand haben. Wer diesbezüglich nix tut, fällt weg. Jährlich reduziert sich die Zahl der deutschen Kassen um min. 5 Mitbewerber.

In Österreich ist es leider aktuell aus Kassensicht völlig egal, ob sich eine Kasse engagiert. „Therapie aktiv“ ist beispielsweise von der Steierischen GKK entwickelt worden und dann erst langsam auf die anderen GKKn ausgerollt worden. Aber selbst, wenn eine Kasse nix tut, kann sie sich drauf verlassen, dass sie entweder über einen Ausgleichsfonds, einen Strukturfonds oder Bundesmittel über Wasser gehalten wird. Es gibt in Österreich weder Wettbewerb noch Konsequenzen die eine passive Kasse zu mehr Anstrengung zwingen können.

Damit man ein Gefühl bekommt, welche Einsparungspotentiale in Österreich durch die geringe Diabetes-DMP-Abdeckung liegen gelassen werden. Aktuell spart man durch “Therapie aktiv” 51 Mio. Euro ein. Würden wir die dt. Einschreibequote von 55% erreichen, würden wir zusätzlich jährlich 262 Mio. Euro einsparen…

 

Abb. 3: Kassensystem-Evolution: Österreich vs. Deutschland

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