Funktionärsreform statt Strukturreform. Und was wurde versäumt?

Inhalt:

1) Vorweg
2) Zusammengefasst haben wir auch nach der Reform…
3) Viel Lärm um wenig
4) Ernüchterung bei der „Minister-Aussprache“ im Sozialausschuss
5) Was wurde versäumt?
6) Wie haben es die Deutschen gemacht?
7) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

 1) Vorweg

Die Regierung hat zwar mehr geschafft als die Vorgängerregierungen in den letzten zwölf Jahren. Allerdings wurden nur die politischen Gegner, nämlich die mehrheitlich roten Arbeiterkammern und ihre Kassen (Finanzierung des niedergelassenen Bereichs), Umstrukturierungen ausgesetzt. Die mehrheitlich schwarzen Länder, die ihrerseits für die komplexe Spitalsfinanzierung veranwortlich sind, wurden dagegen nicht mal ansatzweise angetastet. Während also die Kassenfusionen („horizontale Integration“) im Gegenlager angegangen wurden, hat man nicht mal versucht, die fehlende sektorübergreifende Finanzierung zu schaffen („vertikale Integration“ oder „Finanzierung aus einer Hand“), weil es das eigene Lager betroffen hätte. Der Regieurng spielte diesbezüglich in die Hände, dass warhscheinlich nur ein Bruchteil der Bevölkerung die ländergeführten Landesgesundheitsfonds kennt. Für mehr Gerechtigkeit zwischen den Versicherten sorgt diese Reform definitiv nicht. Beamte (BVA), Landesbeamte und Gemeindebeamte (KFA), sowie Eisenbahner bleiben weiterhin privilegiert. Trotzdem, von denen die sich jetzt am lautstärksten über die Regierungspläne aufregen, müssen sich vor allem die SPÖ/AK/ÖGB/Kassen selbst an der Nase nehmen. Denn Reformen in der SV waren/sind überfällig, und von den SV-Vertretern sind in den letzten Jahren keine ernsthaften Reforminitiativen gekommen, da die Funktionärsposten immer höher gewichtet wurden als die Versichertenwohl und deren Zufriedenheit. Und wie heißt es so schön: “Nur wer schreibt, der bleibt…”

2) Zusammengefasst haben wir auch nach der Reform…:

  • keine echte Selbstverwaltung in der die Funktionäre durch die Versicherten/Arbeitgeber direkt gewählt werden (Sozialwahlen)
  • keine „Finanzierung aus einer Hand“
  • keine faire Verteilung der Finanzmittel zwischen den Krankenkassen/KFAs (Risikostrukturausgleich)
  • keinen einheitlichen Leistungskatalog
  • keine freie Kassenwahl, obwohl wir nach der Reform immer noch 23 Krankenkassen/KFAs haben
  • keine Wahlmöglichkeit zwischen Selbstbehalts- oder Vollversicherungsmodell
  • keine Möglichkeit sich alternativ bei privaten Krankenversicherungen voll zu versichern (innerhalb des Ausgleichssystems – siehe SPD-Bürgerversicherung)

3) Viel Lärm um wenig

Drei Studien zur Reformierung der Sozialversicherung wurden im Laufe des Jahres 2017 veröffentlicht. Entsprechend groß war die Reform-Erwartungshaltung, die durch die Ankündigung über eine mögliche Auflösung der AUVA im April sogar noch gesteigert wurde. Was aber dann schlussendlich rausgekommen ist, war lediglich eine einfache Funktionärsreform, sprich: alles bleibt gleich, nur mit weniger Funktionären. Verglichen mit Deutschland, haben wir aber immer noch zu viele Funktionäre. Der Schmäh mit den fünf Kassen hat zumindest bei den weniger Interessierten gefruchtet. Aber eigentlich haben wir von 36 Kassen (KV, UV, PV) auf 26 reduziert, wobei es sich bei der ÖGK, SVS und VAÖD vermutlich nur um oberflächliche Fusionen handeln wird. Die einzelnen Sparten werden innerhalb der Träger höchstwahrscheinlich fortgeführt. Ob die Regierung jemals wirkliche Reformen im Sinne gehabt hat, wage ich zu bezweifeln, denn 2/3-Mehrheiten braucht es für die angekündigten Änderungen nicht. Für die Regierung reichte lediglich ein groß inszeniertes, in Wahrheit aber kleines Geplänkel, um in der Öffentlichkeit Stärke zu demonstrieren. Und das ist gelungen.

4) Ernüchterung bei der „Minister-Aussprache“ im Sozialausschuss

Wer beim letzten Sozialausschuss dabei war oder in der Parlamentskorrespondenz liest (LINK), wird bestätigt sein, dass die Regierung nie mehr als eine kleine Funktionärsreform im Sinne hatte. Der Ministerin fehlt mittlerweile leider jegliche Reformleidenschaft. Denn anstatt die unvorteilhafte strukturelle Situation im Gesundheitssystem dramatisch zu schildern und die nötigen Änderungen mitreisend vorzutragen, hat sie im Sozialausschuss lediglich einen vorbereiteten Text runtergelesen. Das Niveau steigerte sich auch im Verlauf des Ausschusses nicht. Zum einen folgten auf die Oppositions-Fragen, wieso auf Vorschläge der SV-Studien (Risikostrukturausgleich, Leistungsharmonisierung, Finanzierung aus einer Hand, Einbeziehung der KFAs in die Reform,…) bei der Reform nicht eingegangen wurde, vorbereitete und dadurch auf die Fragen nicht immer stimmige Antworten. Zum anderen zeigte die Ministerin mit ihren Antworten, dass die Regierung nie wirklich vorhatte, ernsthafte Widerstände durch die Länder (KFA, Landesgesundheitsfonds) zu brechen.

Wem bis dahin immer noch nicht klar war, dass die Reform abgesagt ist, dem machte es der ÖVP-Klubobmann und „Schattenminister“ mit seinen plumpen Aussagen nochmal deutlich: „Jo eh, gleiche Leistung bei gleichen Beiträgen, oba nua im gleichen Träger!“ oder „Und zu Ihna a nu, Herr Kollege Loacker, i woaß gor net, wos Sie mit der freien Kassenwohi woin? Dass ma si de Kraunkenversicherung aussuacht, wia bei da Autohoftpflichtversicherung, oda wos!?“

5) Was wurde versäumt?

Wir haben leider eine riesige Reform versäumt. Das Problem ist, dass die relevanten Personen der Sozialversicherung und Regierung keine Erfahrung in anderen Kassensystemen gemacht haben. Zudem bin ich skeptisch, ob die Zwangsfusionen was bringen. Man hätte Wettbewerbs-Vorrausetzungen (RSA) schaffen müssen, danach die Kassen in den Wettbewerb sicken sollen (freie Kassenwahl) und sie ihren Weg (Fusionen) alleine finden lassen sollen. Wie man in den Wettbewerbskassensystemen (CH, D, NL) beobachten kann, steigert der Wettbewerb nicht nur die Innovationskraft bezüglich der Patientenversorgung, sondern er erhöht auch den Krankenkassen-Outcome, die Versichertenzufriedenheit und die Attraktivität der Krankenkassen als Arbeitgeber.

Das was versäumt wurde, ist aber viel weitreichender. Denn durch die permanente Zwangszuordnung in Kammern und Kassen kommt es zu einer schleichenden Entmündigung und zu einer abnehmenden Eigenständigkeit der Bevölkerung, frei nach dem Motto: “Des mocht eh die Kassa, do muas i nix mochen.”  oder “Des mocht eh die Kaumma, da brauch i nix mochen.” Wenn die Regierung solche Wähler-Zombies haben will, soll sie es bitte offen sagen.

6) Wie haben es die Deutschen gemacht?

Aber was in Wettbewerbskassensystemen anders gelaufen als bei uns. Grundsätzlich sind auch dort nicht die Reformen vom Himmel gefallen, wie man am Beispiel Deutschland erkennen kann:

Situation in Deutschland 1970

Keine Finanzierung aus einer Hand, keine freie Kassenwahl, trotzdem tausend Kassen. Also wie bei uns.

Deutscher Reformpfad

Abb. 1: Kassensystem-Evolution: Österreich vs. Deutschland

D: 1974: Begonnen hat man zunächst in den 1970ern mit der „Finanzierung aus einer Hand“. Damit wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass Kassen die Versicherten nicht ins Krankenhaus verscheuchen, sondern versuchen, sie niedergelassen zu versorgen.

Ö: Für uns bedeutet das, Landesgesundheitsfonds auflösen und in die Kassen integrieren. Zunächst könnte man auch die gesamte Krankenhausfinanzierung der Bundesgesundheitsagentur überlassen.

D: 1994 hat man mit den Vorbereitungen für die freie Kassenwahl begonnen und einen umfassenden Kassenfinanzausgleich zwischen sämtlichen Kassen etabliert (Risikostrukturausgleich). Damit war sichergestellt, dass alle Kassen bedarfsgerecht finanziert waren und sich den gleichen Leistungskatalog leisten können.

Ö: das bedeutet, dass wir den GKK-Ausgleichsfonds auf sämtliche Kassen und Krankenfürsorgeanstalten ausweiten müssen. Zudem werden ohne ordentlichen regionalen Risikosstrukturausgleich, innerhalb der ÖGK die Mittel noch leichter von unterversorgten Gebieten (Lungau, Waldviertel,…) in überversorgte Gebiete (Wien) fließen – bei der Aufteilung in 9 GKKn, hat es zumindest noch Widerstand gegeben.

D: 1996 war man dann in Deutschland für die freie Kassenwahl bereit, ab nun konnten sich die Versicherten ihre Kasse selbst aussuchen. Insgesamt hat das zu einer steigenden Zufriedenheit mit dem Kassensystem geführt, weil man ab nun bei Unzufriedenheit wechseln konnte.

Ö: die freie Versicherungswahl bei Mehrfachversicherung ist zumindest ein erster Schritt. Allerdings müssen weitere folgen, jeder soll wählen dürfen. Alternativ muss ein umfassendens, transparentes Benchmarking zwischen den Kassen her oder sogar regionale Zusatzbeiträge. Die Gefahr besteht sonst, dass sich in der vom RH mehrfach kritisierten WGKK oder in der finanzstarken BVA  und den KFAs sämtliche Effizienzgedanken verabschieden.

D: 2003 führte man eine bundesweit einheitliche Krankenhausfinanzierung ein (DRG). Um eine saubere Abrechnung zu garantieren, stärkte man die kassenindividuellen und kassenübergreifenden Prüfdienste.

Ö: für Österreich bedeutet das, dass man die LKF-Finanzierung in der Bundesgesundheitsagentur bündelt und einheitlich abrechnet. In einem weiteren Schritt kann man die Spitalsfinanzierung immer noch an die Kassen übertragen (Finanzierung aus einer Hand). Unabhängig was passiert, müssen die Prüftätigkeiten der Landesgesundheitsfonds oder der Bundesgesundheitsagentur gestärkt werden.

D: Seit 2015 sorgen regionale/kassenindividuelle Zusatzbeiträge, dass weniger effiziente Kassen oder Kassen mit besseren Zusatzleistungen ihre Mehrkosten in Zusatzbeiträge abbilden müssen. Außerdem sind in den schlechter versorgten Gebieten (Ostdeutschland) im Schnitt geringere Zusatzbeiträge zu beobachten.

Ö: für uns bedeutet das, dass man für selbst verursachte Mehrkosten und bessere Leistungen endlich selbst verantwortlich sein muss und die Kassen daher entsprechend Zusatzbeiträge verlangen müssen. Danach würde das Herumwurschteln so mancher Kassen wahrscheinlich sehr schnell ein Ende haben.

Im Laufe der deutschen Reformen ist es weiters zu einer Zunahme der Versorgungsprogramme (Hausarztzentrierte Versorgung, Strukturierte Versorgung, Integrierte Versorgung) gekommen, weil damit den Kassen die Steuerung und Versorgung ihrer Versicherten leichter fällt. Die angenehme Nebeneffekt ist dabei nicht nur eine Kosteneinsparung, sondern auch eine qualitativ bessere Versorgung und besserer Outcome. Zu guter Letzt können die Versicherten zwischen einem Vollversicherungsmodell oder Selbstbehaltsmodell optieren. Diese Wahlmöglichkeit hängt nicht von der Kassenzugehörigkeit ab, wie bei uns, sondern jede Kasse bietet Selbstbehaltmodelle.

7) Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Zwar hat die Regierung mehr geschafft als die Vorgängerregierungen der letzten 12 Jahre, aber eigentlich ist bis auf eine kleine Funktionärsreform nix passiert – 26 statt 36 SV-Trägern und Krankenfürsorgeanstalten (siehe Abb. 2). Die Versicherten haben davon nichts, gerade für benachteiligte Versicherte wird nichts besser. Beamte bleiben weitehin privilegiert. Regierungsnähe wurde belohnt, denn die mehrheitlich schwarzen Länder und ihre Landesgesundheitsfonds wurden von der Reform komplett ausgenommen, obwohl eine Zusammenlegung von Krankenkassen und Landesgesundheitsfonds („Finanzierung aus einer Hand“) wahrscheinlich den größten Effekt gehabt hätte. Übersehen hat die Regierung lediglich, dass durch die GKK-Fusion, die chronisch defizitäre Wiener GKK noch leichter an die Mittel der 8 Bundesländer-GKKn kommt. Unterversorgte Gebiete (Lungau, Waldviertel,…) leiden unter dieser Reform, übervesorgte profitieren (vor allem Wien). Grundsätzlich ist schade, dass die relevanten Personen wenig Erfahrung/Ahnung in/von anderen Kassensystemen haben. In Deutschland, der Schweiz und Holland ist eine wesentlich stärkere Innovationsdynamik zu beobachten, wobei die Innovation großteils wettbewerbsbedingt aus dem Kassensystemen selbst kommt. Freie Kassenwahl und mehr Wettbewerb haben für diese Regierung leider keine Bedeutung, wodurch die Innovationskraft des Kassensystems weiterhin leiden wird. Zudem können die Versicherten weiterhin nicht kassenunabhängig zu Selbstbehaltsmodellen optieren. Der Bevormundungsstaat wurde also untermauert, und somit auch die schleichende Entmündigung und Entselbstständigung der Gesellschaft. Jetzt stellt sich die Frage, will das die Regierung bewusst oder ist es ihr einfach passiert.

Abb. 2: Kassen vorher und nachher

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