Der österreichische Kassenfinanzausgleich funktioniert nicht

Der österreichische Kassenfinanzausgleich funktioniert nicht

Nach drei Jahren Arbeit im deutschen Krankenkassenwesen (Bereich: Risikostrukturausgleich), kann man sagen, der österreichische Kassenfinanzausgleich („Ausgleichsfonds der GKKn“, §447 ASVG) ist zu bürokratisch, unsolidarisch, unfair und entspricht nicht mehr den Standards anderer europäischer Gesundheitssysteme mit Krankenkassen (Deutschland, Niederlande, Belgien…). Aktuell begünstigt der Ausgleichsfonds das überversorgte Wien (Wiener GKK), ermöglicht es unter anderem der „reichen“ Beamtenkasse (BVA) keine Solidarität gegenüber „ärmeren“ Kassen (Burgenländische GKK) leisten zu müssen und belohnt kurioserweise über den „Liquiditätsausgleich“ (Teil des Ausgleichsfonds) ineffiziente Kassen. Der ö. Kassenfinanzausgleich ist seit langem nicht mehr zeitgemäß, wurde entsprechend zuletzt vom Rechnungshof massiv kritisiert und sollte daher endlich grundlegend reformiert werden.

Sind die Bundesländer-GKKn die Dummen?

Als gebürtiger Niederösterreicher: Aus niederösterreichsicher Sicht ergibt sich zum Beispiel die nicht mehr hinnehmbare Situation, dass die NÖ GKK eine deutlich ältere und schlechter verdienende Versichertengemeinschaft als die Wiener GKK umfasst, die NÖ GKK aber seit Jahren mehr in den Ausgleichsfonds einzahlen muss als sie herausbekommt. Gleichzeitig wurde die Wiener GKK in den letzten Jahren mit Subventionen im 3-stellingen Millionenbereich (von Länder-GKKn und Bundesmitteln) mit knapper Müh und Not über Wasser gehalten.

Erfüllt die Großstadt-GKK (WGKK) ihre Aufgaben nicht?

Aber warum ist die Wiener GKK trotz der relativ jungen und gut verdienenden Versichertenklientel so defizitär? Nun ja, Untersuchungen des RH zeigen, dass die Wiener GKK in Sachen Effizienz schon mal deutliches Potential nach oben hat. Aber vor allem die ambulante Planung für Wien lässt eindeutig erkennen, dass die Wiener GKK diesbezüglich seit Jahren einen Teil seiner Hausaufgaben nicht erledigt. In der ambulanten Planung ist nämlich festgehalten, dass es im ambulanten Bereich Wiens knapp 300 Ärzte zu viel gibt – während man in NÖ viele Planstellen nicht besetzen kann! Nimmt man die in der Wiener Planung verwendeten Kunstgrößen (Großstadtfaktor u. Pendlerfaktor) raus, ist die ärztliche Überversorgung in Wien sogar noch größer. Kurz zusammengefasst, nicht nur dass der NÖ GKK für ihre deutlich ältere Versichertenklientel weniger Finanzmittel pro Kopf zur Verfügung stehen als der Wiener GKK, sie muss auch noch für die Überversorgung in Wien aufkommen! Das ist keine Solidarität im eigentlichen Sinne, sondern eine Umverteilung von Unten (NÖ GKK) nach Oben (Wiener GKK). Wie soll in diesem System die Wiener GKK jemals dazu den Anreiz haben, effizient zu wirtschaften! In der Versorgung spiegelt sich diese Ungerechtigkeit derzeit in ausgedünnten Leistungskatalogen, längeren Wartezeiten, geringeren Erstattungen oder restriktiveren Reha-Genehmigungsprozessen der NÖ GKK wider, während die Nutznießer des Systems (Wiener GKK, BVA,…) mit dem Geld nur so um sich werfen.

Reformmöglichkeiten

Eine Reformoption wäre es beispielsweise die demographische Komponente im Ausgleichsfonds zu stärken, wie vom RH gefordert, den Ausgleichsfonds auf alle Krankenkassen/KFAs anzuwenden und das undurchsichtige Hebesatz-System der Nicht-GKKn zu canceln. Nach den Änderungen würde der Ausgleichsfonds wesentlich transparenter und unbürokratischer dastehen und in etwa dem deutschen Kassenausgleichsmodell aus 1994/95 entsprechen. Im alten deutschen Modell hat es ebenfalls noch keine freie Kassenwahl gegeben, aber eine umfassende Solidarität zwischen sämtlichen Kassen. Grob erklärt, wurden dort die gesamten Beiträge gesammelt und anschließend nach einheitlichen Alters- und Geschlechtsgruppen-Zuschlägen an die Kassen zurückverteilt. „Ältere“ Kassen haben folglich mehr zurückbekommen, „jüngere“ entsprechend ihrer vorteilhafteren Versicherten-Risikostruktur weniger. Und das i-Tüpferl müsste ein ergänzendes Zusatzbeitrags-System sein, über das die Kassen ihre Ausgaben über den Kassenfinanzausgleich hinaus finanzieren, sei es durch Selbstbehalte oder höhere Beitragssätze. Wenn eine Kasse also dazu tendiert seine Bevölkerung überzuversorgen (wie die Wiener GKK), dann müsste die bessere Versorgung auch der Bevölkerung in Rechnung gestellt werden!

Kuriosum zum Schluss: Recht ist nicht gleich Gerechtigkeit

Zum Schluss noch ein absolutes Kuriosum: Der VfGH hat 2004 die Beteiligung der BVA am Kassenfinanzausgleich aufgehoben, unter anderem mit folgenden Begründungen. Bundesweite Kassen (BVA) dürfen sich mit regionalen Kassen (GKKn) nicht an einem gemeinsamen Kassenfinanzausgleich beteiligen. Unterschiedliche Beitragsätze bzw. Selbstbehaltsmodelle sind weitere ein Ausschlusskriterien. Soweit so gut, aber würde man das VfGH-Urteil auf das deutsche Kassensystem (GKV) umlegen, wäre der gesamte deutsche Risikostrukturausgleich verfassungswidrig. Dort wurden nämlich 1994 überregionale mit regionalen Kassen unter einem Kassenfinanzausgleich zusammengefasst (RSA bzw. Morbi-RSA). Auch dass die Kassen damals völlig unterschiedliche Beitragssätze hatten, war kein Hinderinis. Zudem gibt es im GKV-System nachwievor das Wahlrecht auf Selbstbehalte. Was also bei uns Unrecht ist, ist in Deutschland Normalität und wird auch nicht als ungerecht empfunden, wieso auch.


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