SV-Effizienz-Studie

SV-Effizienz-Studie, Überlegungen

Die Effizienz der österreichischen Sozialversicherung soll nun endlich (!) im Rahmen einer Studie überprüft werden. System-Evaluierungen sind ja in Österreich nicht nicht gerade häufig. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern… Beispiel: Allein in meinen 3 Jahren im dt. Kassensystem hat es hier unzählige RSA-Gutachten/Änderungen gegeben (jährliche RSA-Anpassungen LINK, Annualisierungs-Urteil, Auslandsversicherten-Urteil, Krankengeld-Urteil, 1 Regionalisierungs-Gutachten, 3 Krankengeld-Gutachten, 1 Auslsandsversicherten-Gutachten, 1 Härtefall-Gutachten, 1 Krankheitsauswahl-Gutachten,…). Nicht zu vergessen die große RSA-Evaluierung 2011 (LINK; die nächste kommt 2017). Wie auch immer, Österreich hald, zumindest der Name des Studien-Auftragsnehmers, „London School of Economics“ (LSE), und die Höhe des Studienbudgets, satte 630.000 Euro, klingen vielversprechend (LINK).

Grundsätzliches

Da die Effizienz-Studie von der Sozialversicherung/Regierung selbst in Auftrag gegeben wurde, kann man von vornherein ausschließen, dass die Studie einen groß angelegten Systemwechsel empfehlen wird. Ohnehin hat das IHS bereits in seiner umfassenden Studie zur „Finanzierung aus einer Hand“ (LINK) aus dem Jahr 2009 festgestellt, dass sich Entwicklungen in Gesundheitssystemen in der Regel entlang von Pfaden bewegen. Pfadsprünge sind eher selten. Und Österreich kennend, werden wir da wohl kaum die große Ausnahme sein.

Weiterhin Selbstverwaltung und Kassen

Also wir können davon ausgehen, dass die Studie bei ihren Vorschlägen an der Selbstverwaltung und somit den Kassen festhalten wird. Daran gibt’s eigentlich aber auch nichts auszusetzen, schließlich gibt’s in Europa eine Reihe von Kassensystemen (Holland (+), Deutschland (+/-), Schweiz (+/-)), die aufzeigen, wie man das österreichische Kassensystem verbessern könnte. Und wenn die Effizienz-Studie zumindest auf eines der verwiesenen Kassensysteme hinsuggerieren wird, kann man sich durchaus gute Reformvorschläge davon erwarten.

Mindeststandards in modernen europäischen Kassensystemen

Wenn man sich die interessanteren Kassenländer aus der näheren Umgebung (Holland, Schweiz, Deutschland) ansieht, haben sie eines gemeinsam. Die „Finanzierung aus einer Hand“ (ambulant + stationär), die freie Kassenwahl für die Versicherten, umfassende Kassenfinanzausgleichssysteme, sowie einheitliche Leistungskataloge, die bei Zusatzleistungen mit Zusatzbeiträgen verknüpft sind.  Diese Punkte müssten eigentlich das Mindestergebnis der Studie für Reformen sein, dann kann man damit ziemlich zufrieden sein.

Status Quo in Österreich und Umsetzung

(a)    Finanzierung aus einer Hand

Die „Finanzierung aus einer Hand“ ist in Österreich bis dato nicht verwirklicht. Eigentlich ein MUST. Allein schon aus ökonomischer Sicht würde damit ein wünschenswerter Druck auf die Kassen entstehen, mehr im günstigeren ambulanten Versorgungsbereich zu versorgen. Bekanntlich haben ja die Kassen aufgrund der pauschalierten stationären Abgeltung an die Spitäler (Länder) den Anreiz, möglichst stationär, und somit teuer behandeln zu lassen. Außerdem ist es ordnungspolitisch ungünstig, dass die Länder als Spitalerhalter gleichzeitig als Spitalfinanzier auftreten. In Bundesländern mit mehreren Spitalsträgern besteht zudem die Gefahr, dass die Länder ihre eigenen Träger bevorzugen. Beispielsweise unterlassen es die Länder bis dato scharfe KH-Abrechnungsprüfungen nach deutschem Vorbild zu etablieren. Ergo: Die Landesgesundheitsfonds (Spitalsfinanzierung) müssen raus aus der Landespolitik und in die Kassen integriert werden.

(b)    Freie Kassenwahl „light“

Die „freie Kassenwahl“ gibt es in Österreich ebenfalls nicht. Hier wäre allerdings bereits ein abgemilderter Übergang von der gegenwärtigen Pflichtversicherung auf die „Versicherungspflicht light“ eine wünschenswerte Weiterentwicklung. Zumindest sollte sich der Versicherte bei Vorliegen von mehreren Kassen-„Anknüpfungspunkten“ in unterschiedlichen Bundesländern (z.B.: Arbeitgeber in Wien u. Wohnsitz in NÖ) zwischen den jeweiligen GKKn entscheiden können. Zudem sollte man sich bei einer Mehrfachversicherung (z.B.: Angestellter mit zusätzlicher Selbständigkeit) für eine einzige Kasse entscheiden können. Wie gut aber die Chancen für eine beschränkte freie Kassenwahl oder zumindest das Ende der (für Versicherte oft mühsamen) Mehrfachversicherung stehen, ist sehr fraglich. Aus parlamentarischen Anfragen (FPÖ, NEOS) geht nämlich hervor, dass lediglich eine “Vereinfachung der Abwicklung von Mehrfachversicherungen” untersucht werden soll. Klingt wenig ambitioniert… (LINK, LINK)

(c)     Kassenfinanzausgleich (Risikostrukturausgleich)

Was den Kassenfinanzausgleich betrifft, ist dieser in Österreich nur sehr unzureichend und lediglich unter den GKKn etabliert (“Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen”). Insgesamt sind wir momentan fast 25 Jahre hinten. Das ähnlichste Kassensystem (Deutschland) hat bereits 1994 einen umfassenden Kassenfinanzausgleich für sämtliche Kassen eingeführt (Ausgleichsfaktoren 1994: Alter und Geschlecht; ab 2009: Ergänzung durch Morbidität). Das deutsche 94er-System (damals noch ohne Kassenwettbewerb!) ist eigentlich ein Standard den wir in den nächsten 5 Jahren erreichen sollten. EDV-technisch steht ja schon lange nichts mehr entgegen.

RSA, vertiefend: Für eine Verfeinerung des ö. Kassenfinanzausgleichs stehen folgende Ausgleichs-Merkmale zur Disposition. Regionalität (Schweiz – über regionale Zusatzbeiträge; Holland – über regionale Ausgleichsfaktoren), Sozioökonomie (Holland – über 10 Regionalcluster-Ausgleichsfaktoren, die mittels sozioökonomischen Faktoren aus den PLZs geclustert werden) und Morbidität (Deutschland – mittels 80 ausgewählten Krankheiten, die anhand von ambulanten/stationären ICDs ermittelt werden; Holland – Krankheiten die mittels ausgewählten stationären ICDs und Arzneimittel-Verordnungen erzeugt werden).

RSA, wichtig: ein umfassender, gut ausgestalteter Kassenfinanzausgleich ist auch ohne Kassenwettbewerb notwendig. Nur so können die Kassen mit einer bedarfsgerechten Menge an Finanzmitteln auszustattet werden, wodurch bei gleichen Beitragssätzen vergleichbare Leistungskatalog-Niveaus ermöglicht werden können. Andernfalls sind Überversorgung und Unterversorgung je nach betrachteter Kasse weiterhin (!) möglich. In Österreich sind ja Versicherte von unterfinanzierten Kassen (noch) mit längeren Wartezeiten, ausgedünnten Leistungskatalogen und arztseitiger Risikoselektion konfrontiert.

RSA, Tipp: Dass man sich in der Studie ausgerechnet das komplexeste Kassenfinanzausgleichssystem, den deutschen Morbi-RSA, zur die Prüfung für Österreich hergenommen hat, ist ambitioniert (SV-Studien-Konzeptpapier: LINK). Ich hätte zumindest das einfachere Schweizer System oder das mittel-komplexe holländische System (Vorbild für den Morbi-RSA) miteinbezogen. Was den Morbi-RSA betrifft, ambulante ICDs ohne Arzneimittel-Validierung sollten in einem möglichen neuen öst. Kassenfinanzausgleich keinen Platz finden. Als RSA-Finanzcontroller im deutschen Kassensystem kriegt man nämlich derzeit medial sehr schön mit, wie Diagnosen-Manipulation im ambulanten Bereich auswuchern kann, LKF-Optimierung nichts dagegen. Vor allem die größeren Kassen (AOKn, Barmer GEK, Techniker KK) sind dick im Diagnose-Optimierungsgeschäft vertreten und derzeit mit massiven Betrugsvorwürfen konfrontiert (LINK, LINK).

Zusammenfassend

Es ist erfreulich, dass es endlich eine Studie zur Effizienz der SV geben wird. Systemevaluationen sind in andern Ländern viel regelmäßiger. Wenn man sich die interessanteren, europäischen Kassensysteme (Holland, Schweiz, Deutschland) ansieht, haben diese eines gemeinsam. Die „Finanzierung aus einer Hand“ (ambulant + stationär), die freie Kassenwahl für die Versicherten,  umfassende Kassenfinanzausgleichssysteme, sowie einheitliche Leistungskataloge, die bei Zusatzleistungen mit Zusatzbeiträgen verknüpft sind. Diese Eigenschaften müssen eigentlich das Mindestergebnis der Effizienz-Studie sein. Alles darüber ist Luxus.

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