Der ö. Kassenfinanzausgleich: Teil 1: GKK-Ausgleichsfonds

Der ö. Kassenfinanzausgleich: Teil 1: GKK-Ausgleichsfonds

Inhalt:

  1. Wieso braucht es einen Kassenfinanzausgleich
  2. Ziel des GKK-Ausgleichsfonds
  3. Ideologische Einordnung
  4. Ziel, hinsichtlich Versorgungsstrukturen: Steuern oder abbilden?
  5. Wer ist für den Ausgleichsfonds verantwortlich
  6. Finanzierung des Ausgleichsfonds
  7. Mittelverteilung des Ausgleichsfonds
  8. Kritik am Ausgleichsfonds

1) Wieso braucht es einen Kassenfinanzausgleich

Es geht um die bedarfsgerechte Finanzmittelausstattung der einzelnen Krankenkassen, sprich: faire Startvoraussetzungen. Und diese bedarfsgerechte Finanzmittelaustattung ist im Ausgangszustand aufgrund von unterschiedlichen Versichertenstrukturen der Kassen (Unterschied bei Einkommen, Alter, Sozioökonomie…) nicht gegeben. Um die Strukturunterschiede auszugleichen, gibt es in modernen Krankenkassensystemen umfassendene Kassenfinanzausgleiche (z.B.: Deutschland, Niederlande, Schweiz), besser bekannt unter dem Begriff “Risikostrukturausgleich”. In Österreich hat man diesbezüglich innerhalb des GKK-Systems den „Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen“ (§447a ASVG LINK) geschaffen. Die restlichen Krankenkassen bekommen ihre Strukturnachteile über die sogenannten „Hebesätze“ von der Pensionsversicherung vergütet.

Gäbe es nun keinen solchen Kassenfinanzausgleich, wären „ältere“ Kassen chronisch unterfinanziert und in der Folge ihre Versicherten unterversorgt. In Ländern mit freier Kassenwahl sind solche Kassenfinanzausgleiche aus einem weiteren Grund unabdingbar, ohne sie wäre nämlich kein fairer und funktionierender Kassenwettbewerb möglich. Andernfalls würde es zu Risikoselektion von Versicherten kommen, sprich: Versicherte mit einem hohen Kostenrisiko (ältere oder morbidere Menschen) hätten es schwerer Versicherungsschutz zu finden.

In den weiteren Zeilen wird nun auf den „Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen“ etwas näher eingegangen, da seine Funktionsweise in Verordnungen (LINK) relativ gut nachvollziehbar ist. Die Berechnungswege der „Hebesätze“ der Nicht-GKKn können leider hier nicht dargestellt werden, weil nicht einmal das Gesundheitsministerium (BMG) und das Sozialministerium (BMASK) darüber Bescheid wissen, wie sie von der Sozialversicherung berechnet werden (siehe Loacker-NR-Anfragen  LINK, LINK, LINK). Die Passitivität des BMG, bezüglich Weiterentwicklung des Kassenfinanzausgleichs, wurde übrigens zuletzt vom Rechnungshof kritisiert (LINK RH 2016/3   38.4 (1)).

2) Ziel des GKK-Ausgleichsfonds

Laut §447a (1) sollen die Mittel aus dem Ausgleichsfonds grundsätzlich so auf die einzelnen GKKn verteilt werden, dass die GKKn ausreichend mit Liquidität versorgt sind. Die Rechtslage lässt somit Verteilmodalitäten zu, die über den Ausgleich von strukturellen Unterschieden hinausgehen. International ist es allerdings üblich, dass Kassenfinanzausgleiche lediglich Strukturunterschiede kompensieren, die von Kassen unbeeinflussbar sind (Einkommen, Alter, Sozioökonomie,…). Die Ausgleichsfonds-Verordnung ermöglicht hingegen auch einen Ausgleich von Strukturunterschieden, die von Kassen beeinflussbar sind (angebotsseitige Regionalität), und einen nachgelagerten Ausgleich von Verlusten (Liquiditätsausgleich). Die sehr großzügige Rechtslage verleitet damit eher zu Ineffizienzen, wie der RH bereits festgestellt hat (siehe Bericht 3/2016 LINK). Aber zumindest wird unter §447a (12) ein Klagsgrund gegen Ineffizienzen, die von Kassen selbst herbeigeführt wurden, angeboten.

3) Ideologische Einordnung

Ideologisch ist der Ausgleichsfonds durch den Mix von Strukturausgleichen (Einkommen, Alter, Geschlecht, Hochkosten => Startgerechtigkeit) und Ist-Kosten-Ausgleichen (Regionalausgleich, Liquiditätsausgleich => Bedürfnisgerechtigkeit) nicht eindeutig einordenbar. Moderne Ausgleichssysteme (Deutschland, Schweiz, Niederlande) verfolgen hingegen eindeutig liberale Überlegungen. Nämlich das Schaffen von gleichen Startvoraussetzungen, mittels Ausgleich von nicht beeinflussbaren Strukturen im Vorhinein. Danach ist jede Kasse auf sich selbst gestellt und muss zur Finanzierung von etwaigen Defiziten oder von Versorgungsangeboten über die Grundleistungen hinaus Zusatzbeiträge von den eigenen Versicherten verlangen. Im ö. Ausgleichsfonds konterkarieren hingegen der regionale Ist-Kosten-Ausgleich und der nachgelagerte Liquiditätsausgleich den vorhergehenden Strukturausgleich.

Schlussendlich zielt der Ausgleichsfonds eher auf Bedürfnisgerechtigkeit ab. Damit sind zwar die Kassen immer ausreichend mit Liquidität versorgt, der Effizienzgedanke leidet unter der “Vergemeinschaftung” von Verlusten einer GKK auf alle GKKn aber enorm. Eine Abänderung, die auf mehr Eigenverantwortung und somit mehr Effizienz abzielt, ist aber leicht umsetzbar, wenn man diesbezüglich die Empfehlungen des RH ernst nimmt. Also Neugestaltung des Regionalausgleichs (weg vom reinen Ist-Kosten-Ausgleich) und Aufhebung des Liquiditätsausgleichs.

4) Ziel, hinsichtlich Versorgungsstrukturen: Steuern oder abbilden?

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob ein Risikostrukturausgleich (a) Versorgungsstrukturen beeinflussen/steuern soll oder ob er lediglich (b) bestehende Versorgungsstrukturen abbilden soll.

Für Österreich ergibt sich aus der expliziten Absicht, dass „der Ausgleichsfonds für ausreichende Liquidität bei den Kassen sorgen soll“,  eindeutig die Zielsetzung (b), also bestehende Strukturen abzubilden. Oder direkter ausgedrückt, der Ausgleichsfonds soll bestehende Strukturen verfestigen. Konkrekt regelt der Ausgleichsfonds die Abbildung der bestehenden Versorgungsstrukturen über den Regionalausgleich (RStruktAusgl 2006 Berechnungsregeln, §4 u. §5, LINK), der als voller regionaler Ist-Kosten-Ausgleich konzipiert ist. Aber auch der Liquiditätsausgleich sorgt für eine Strukturverfestigung, da er mehr oder weniger im Nachhinein strukturelle Verluste abdeckt. Und weil die GKKn direkten Einfluss auf das regionale Angebot haben (Stellenplanung), ist der Ausgleichsfonds in der aktuellen Ausgestaltung eigentlich sogar ein Verstärker von regionalen Unterschieden. Er belohnt den Aufbau von Versorgungsstrukuren und bedstraft den Abbau.

Anders die Zielsetzung im deutschen Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Dort soll der RSA eindeutig eine steuerende Wirkung haben (Zielsetzung a), weshalb absichtlich ein Regionalausgleich ausgeschlossen wurde, um die Kassen dazu zu bewegen, die Versorgungsstrukturen anzugleichen.

Natürlich können die dt. Kassen ihre Versorgungsangebote trotzdem über den Schnitt anheben, müssen diese aber selbst über Zusatzbeiträge finanzieren. Der Ausgleichsfonds ermöglicht hingegen den ö. GKKn eine Erweiterung der eigenen Versorgungsstrukturen auf Kosten der anderen  GKKn (z.B.: Wiener Gebietskrankenkasse).

5) Wer ist für den Ausgleichsfonds verantwortlich

Das Finanzvolumen des Ausgleichsfonds wird als Sondervermögen des Hauptverbands geführt, der für die Koordination des Ausgleichsfonds-Weiterentwicklung veranwortlich ist. Das Verhandlungsergebnis muss dann von 2/3 der GKKn eine Zustimmung erhalten. Das Gesundheitsministerium greift in die Ausgleichsregelungen aber praktisch nicht ein, was der RH zuletzt kritisierte. In Deutschland wird hingegen der Risikostrukturausgleich vom Bundesversicherungsamt (BVA, LINK) verwaltet und jährlich abgeändert. Das BVA ist jedoch nicht, wie der Hauptverband, Teil der Selbstverwaltung, sondern eine Behörde des dt. Gesundheitsministeriums.

6) Finanzierung des Ausgleichsfonds

Finanziert wird der Ausgleichsfonds größtenteils durch die GKKn selbst, die 1,64% ihrer Beitragseinnahmen in den Ausgleichsfonds einzahlen müssen – 2015: 168 Mio. Euro. Aber auch die Bundeszuschüsse (§1a GSBG) sind mit 92 Mio. Euro nicht unerheblich. Durch einige weitere kleine Positionen ist das Finanzvolumen des Ausgleichsfonds für 2015 schlussendlich auf ca. 300 Mio. Euro angewachsen (siehe Handbuch der SV, Seite 64, LINK).

Tab. 1: Finanzierung des Ausgleichsfonds

7) Mittelverteilung des Ausgleichsfonds

Die Ausgleichsfondsmittel werden im Anschluss über drei Ausgleichsmechanismen and die 9 GKKn verteilt, nämlich über den „Ausgleich für unterschiedliche Strukturen“, den „Ausgleich für unterschiedliche Liquidität“ und den „Ausgleich für besonderen Behandlungsbedarf“. Der Strukturausgleich nimmt dabei den höchsten Anteil ein, nämlich 57%. Es folgen der Liquiditätsausgleich (33%) und der „Ausgleich zur Deckung von besonderen Behandlungsbedarf“ (10%). Innerhalb des Strukturausgleichs, dem Herzstück des Ausgleichsfonds (Beschreibung LINK), gibt es noch weitere Teil-Ausgleiche.

 

8)      Kritik am Ausgleichsfonds

a)      Liquiditätsausgleich und negative RH-Kritik

Der Rechnungshof (Bericht 3/2016) kritisierte zuletzt das zu hohe Gewicht des Liquiditätsausgleichs, der Anreize für Ineffizienzen birgt und forderte eine rasche Reduktion dieses Ausgleichs. Außerdem berichtete der RH, dass durch hohe Gewichtung des Liquiditätsausgleichs dem Strukturausgleich die Mittel fehlen, um sämtliche Strukturnachteile der einzelnen Kassen abzudecken. Dennoch soll der Anteil des Liquiditätsausgleichs bis 2021 bei 33% konstant gehalten werden (siehe 4. u. 5. Strukturausgleichs-Abänderung LINK, LINK).

b)      Strukturausgleich und grundsätzlich positive RH-Kritik

Der Strukturausgleich wird vom Rechnungshof grundsätzlich positiv bewertet, allerdings kritisiert er den Regionalausgleich in seiner derzeitigen Ausgestaltung, also in Form eines reinen Ist-Kosten-Ausgleichs (Bericht 3/2016).

Diesbezüglich kann man ergänzen, dass sich der Strukturausgleich auf fünf weitere Unter-Strukturausgleiche (Einkommen, Alter-Geschlecht, Hochkosten-Versicherte, ambulante Regionalität, stationäre Regionalität) aufgeteilt ist. Der Strukturausgleich in dieser Form entspricht, was Einkommen, Alter, Geschlecht und Hochkosten betrifft, internationalen Standards. Nur der Ausgleich von regionalen Unerschieden in voller Höhe (Ist-Kosten-Ausgleich) ist aufgrund der starken Beeinflussbarkeit der GKKn auf das regionale Angebot (Stellenplanung) höchst fragwürdig. In modernen Ausgleichssystemen sind (teilweise) Ist-Kosten-Ausgleiche unüblich und nur bei Hochkostenfällen (NL: 90%-Regel) und in Ausnahmen (BRD: Übergangsregelung beim Krankengeld – 50%-Regel) im Einsatz.

c)       Kritik an der “2-K(l)assen-Medizin” – bevorzugte Kassen

Zuletzt sind die Eisenbahner-Kasse (VAEB) und die Beamten-Kasse (BVA) medial in Kritik geraten, da sie sich derzeit nicht am Ausgleichsfonds der benachteiligten GKKn beteiligen (LINK, LINK). Die BVA war ursprünglich kurze Zeit involviert, konnte den Ausgleichsfonds nach einer Entscheidung des VfGH aber wieder verlassen (LINK). Die kuriose Begründung, dass sich Kassen mit unterschiedlichen Versichertenstrukturen nicht an einem gemeinsamen Ausgleich beteiligen dürfen, zeigt auf, dass die Solidarität im ö. Gesundheitswesen (noch) begrenzt ist. In anderen Ländern, wie beispielsweise Deutschland, ist man schon weiter. Dort nehmen sämtliche Kassen an einem gemeinsamen Ausgleichssystem teil.

Sehr deutlich sieht man die Benachteiligung der GKKn anhand der Vermögenslage (siehe Abb. 1). Aktuell besitzt die BVA mit 0,7 Mio. Versicherten genau so viel Vermögen (800 Mio. Euro) wie das fast 10mal größere GKK-System (6 Mio. Versicherte). Gründe für die Vermögenschieflage gibt es einige. Unter anderem werden Arbeitslose oder Asylwerber fast ausschließlich bei den GKKn versichert, die dadurch auf geringere Beitragseinnahmen zurückgreifen müssen.

Etwas Kurioses zum Schluss: Laut Verfassung, darf sich die BVA aufgrund der unterschiedlichen Risikostrukturen zwischen GKKn und BVA zwar einerseits aus dem GKK-Ausgleichsfonds heraushalten. Die Verfassung lässt aber anderseits auch zu, dass arbeitslos gewordene Vertragsbedienstete automatisch aus der BVA in das GKK-System überführt werden (LINK), und das obowohl ja eigentlich das GKK-System eine andere Risikostruktur aufweist. Etwas widersprüchlich und aus moralischer Sicht mit einem Gschmäckle behaftet, aber aus juristischer Sicht sicherlich einwandfrei…

Abb. 1: Kassen-Reinvermögen 2014

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