Ambulanzgebühren. Wieso denn nicht.

Die „Ambulanzgebühren“ sind kurz wieder aufgepoppt. Und in 2 Monaten sind die Wien-Wahlen. Grundsätzlich ein sehr guter Zeitpunkt, um sich für die Probleme in den Spitalsambulanzen Gehör zu verschaffen. Für eine sachliche Diskussion über Ambulanzgebühren ist es aber noch 2 Monate zu früh. Im Folgenden Theoretisches über Ambulanzgebühren und eine politische Einschätzung. Denn nach den Wien-Wahlen ist eine Ambulanzgebühr durchaus realistisch. NEOS sind ohnehin dafür, ÖVP und (vor allem) FPÖ könnten nach der Wahl schwenken. FPÖ deswegen, weil Wiener Ambulanzen zu einem erheblichen Teil von Migranten frequentiert werden… Nur vor der Wahl werden ÖVP und FPÖ der SPÖ die Ambulanzgebühr-Diskussion definitiv nicht gönnen. Grundsätzlich braucht man sich vor Ambulanzgebühren aber auch nicht zu fürchten. Mit den nötigen flankierenden Maßnahmen – Senkung der KV-Dienstnehmer-Beiträge für Niedrigverdiener und Ausweitung der niedergelassenen Öffnungszeiten – sind die Ängste unbegründet. Wie auch immer, vor der Problematik völlig überfüllter Ambulanzen wird sich die Regierung nicht drücken können.

1) Theoretisches und Zahlen

a) Grundintention einer Ambulanzgebühr

Kosteneinsparungen durch Steuerung der Patientenströme und Vermeidung von zu viel gerätegestützter Diagnostik, die sehr teuer ist. Zuerst soll der günstigere niedergelassene Bereich aufgesucht werden. Der erfahrene Allgemeinmediziner übernimmt die grundlegende Diagnostik – Erfahrung kompensiert die gerätegestützte Diagnostik der Ambulanzen. Erst danach soll der Patient bei Bedarf zum Facharzt oder in die Spitalsambulanz weiterüberwiesen werden.

b) Starke Kostensteigerungen in den Ambulanzen

Die österreichischen Spitalsambulanzen sind sehr beliebt. Unter anderem bestechen sie durch günstigere Öffnungszeiten und aufwendigere medizintechnische Ausstattung als der niedergelassene Bereich. Und dieser „Mehrwert“ ist für die Patienten auch völlig kostenlos. Im Grunde genommen ist jeder Patient benachteiligt, der den normalen Hierarchieweg geht, also zuerst die niedergelassene Praxis ansteuert. Es kommt dann schon mal vor, dass ein Schnupfen-Patient in der Spitalsambulanz aufschlägt. Komplett-Check inklusive. Das kostet. Denn wenn die vielen medizinischen Geräte schon mal vorrätig sind, dann will man sie auch nutzen. Dementsprechend haben sich aufgrund der fehlenden Ambulanz-Zugangsbarrieren die Ambulanzausgaben seit 2001 auch verdoppelt (+100%), während sich die stationären Ausgaben „nur“ um 57% erhöht haben – siehe Abb. 1.

Abb. 1: Ambulanzkosten

2) Einführung der Ambulanzgebühren inklusive der flankierenden Maßnahmen

Mit der Einführung der Ambulanzgebühren ist es natürlich nicht abgetan. Du brauchst auch das ganze Rundherum. Ausweitung der Öffnungszeiten im niedergelassenen Bereich. Attraktivierung des niedergelassenen Bereiches – viele Spitalsärzte fürchten mittlerweile die Selbständigkeit. Der notwenidge Einkommensausgleich für Niedrigverdiener, da die Ambulanzgebühren bürokratiebedingt ohne Ausnahmen eingeführt werden müssten. Außer der Patient hat eine Überweisung aus dem niedergelassenen Bereich, eine Wiederbestellung der Ambulanz oder er wird danach stationär aufgenommen.  Als Einkommensausgleich für Niedrigverdiener müssten  die KV-Dienstnehmerbeiträge entsprechend abgesenkt werden bzw. die Mindestpensionen und Mindestsicherung entsprechend angehoben werden.

Sollte man sich dennoch nicht zu Ambulanzgebühren durchringen können, sollte man zumindest die die gesetzlichen Grundlage schaffen, die es einzelnen Bundesländern ermöglicht, die Gebühr zu erheben.

3) Gebühren-Streichungen wirken nicht immer zugunsten sozial Schwächerer

Die Einführung einer Gebühr muss nicht notwendigerweise sozial Schwächere treffen. Anderseits begünstigt die Abschaffung einer Gebühr nicht notwendigerweise Ärmere. Das kann man sehr schön mit dem Beispiel der Abschaffung der Studiengebühren und der Erbschaftssteuer zeigen.

a) Die Abschaffung der Studiengebühren war reiner Populismus und hat sozial Schwächeren nichts gebracht, weil sie ohnehin nie Studiengebühren gezahlt haben. Im letzten Jahr der flächendeckenden Studiengebühren zahlten 50.000 von 250.000 Studierenden keine Studiengebühren (Quelle: Teletext 2008). Vorwiegend sozial Schwächere. Dennoch setzte der aktuelle Kanzler die Abschaffung der Gebühren durch. Profitiert haben natürlich nur Studenten mit finanziell besserem Hintergrund. Nur eine Erhöhung der Stipendien-Quote bzw. der Stipendien-Beträge hätte sozial Schwächeren geholfen.

b) Für die Erbschaftssteuer gilt Ähnliches. Von der Abschaffung haben sozial Schwächere nicht profitiert, weil die ja ohnehin nix erben oder mit ihrer Minimalerbschaft unter die Freigrenze fallen. Nur wenige, die sehr viel erben, profitierten von der Abschaffung. Darum sind natürlich linke Wirtschaftstheorien grundsätzlich dagegen. Aber auch Wirtschaftsliberale würden die Erbschaftssteuer nie abschaffen! Sie setzen stattdessen auf niedrige Einkommenssteuern (siehe Schweiz, USA und GB), um Leistungsanreize zu erhöhen. In Österreich sind stattdessen die Einkommensteuersätze höher…

Ich hoffe, ich konnte mit dem Beispiel der Studiengebühren und Erbschaftssteuer verdeutlichen, dass selbst die Abschaffung von Gebühren oder Steuern nicht notwendigerweise sozial Schwächeren helfen muss, wenn man nicht mitdenkt. Vice versa bedeutet die Einführung einer Gebühr oder Steuer nicht nowtwendigerweise, dass sozial Schwächere getroffen werden – wenn man mitdenkt!

4) Politisches – was wollen die Parteien

Grundsätzlich haben wir das Problem, dass beide Regierungsparteien seit Jahren zu keiner ernsthaften Diskussionen mehr bereit/fähig sind. Egal welches Thema. Man denkt in „kleinen, kleinstbürgerlichen Schritterln“ und entscheidet in der Regel nach Umfragewerten. Es gibt nur „Ja“ und „Nein“.

ÖVP – vor der Wien-Wahl dagegen

Bei der ÖVP, die 2001 noch der Treiber hinter den Ambulanzgebühren war, ist seit dem Abgang des ideologischen Masterminds Wolfgang Schüssel keine Linie mehr erkennbar. Ob man für oder gegen etwas ist, orientiert sich in der ÖVP seit 2006, ob man durch eine Entscheidung gegenüber dem Koalitionspartner in der Wählergunst profitiert, oder zumindest nicht verliert. Kurz vor der Wien-Wahl wird man der SPÖ eine längerfristige Diskussion über die Ambulanzgebühren mit Sicherheit nicht gönnen. Die SPÖ würde dadurch leicht aus der Defensive kommen. Nach der Wahl könnte die ÖVP jedoch schwenken.

SPÖ – dagegen

Die SPÖ hat dereinst die Verfassungsklage gegen die Ambulanzgebühren eingebracht und juristisch recht bekommen. Die SPÖ wird diesbezüglich auch ihre Meinung nicht ändern. Ja die SPÖ-Gesundheitsministerin sieht nicht einmal Lenkungseffekte durch die Ambulanzgebühr – die es aber natürlich gibt. In Deutschland sind nach Abschaffung der Praxisgebühr die ärztlichen Leistungsausgaben überdurchschnittlich angestiegen.

FPÖ – vor der Wien-Wahl dagegen

Die FPÖ wird vor der Wien-Wahl kein Risiko mehr eingehen und das Ambulanzgebühr-Tham unnötig anfachen. Schließlich geht es in Wien um Platz 1. Nach der Wahl, nach der man in Wien wohlmöglich Regierungsverantwortung übernommen hat, sieht es vielleicht aber schon wieder ganz anders aus. Auch Jörg Haider, der unter Regierungsverantwortung in Kärnten mit der Ambulanzproblematik direkt konfrontiert war, hat dereinst die restriktiven Öffnungszeiten im niedergelassenen Bereich kritisiert und schlussendlich 2001 die Ambulanzgebühren mitgetragen. Hinzu kommt, dass in Wien die Ambulanzen zu einem erheblichen Teil von Migranten genutzt werden. Ich glaub, ich muss jetzt nicht mehr weiter argumentieren, wieso die FPÖ schwenken könnte.

Die Grünen – dagegen

Grundsätzlich dagegen. Allerdings ist mit den Grünen eine sachliche Diskussion realistisch, die über die übliche rotschwarze „Schwarz-Weiß“-Sicht hinausgeht.

NEOS – dafür

Grundsätzlich dafür. Ähnlich wie bei den Grünen, ist mit NEOS eine sachliche Diskussion über dieses Thema möglich.

Team Stronach – eher dagegen

Das Team hat zwar im Herbst keine Landtagswahlen zu bestreiten, aber man möchte höchstwahrscheinlich nicht unnötig negativ auffallen. Tendenziell werden die Abgeordneten also dagegen sein.

5) Abschließend

Ich hoffe, dass ich zeigen konnte, dass Ambulanzgebühren nicht notwendigerweise sozial Schwächere treffen müssen, wenn die Ambulanzgebühren mit den entsprechenden flankierenden Maßnahmen eingeführt werden. Zudem sollte man sich darauf gefasst machen, dass uns nach der Wien-Wahl eine größere Diskussion über Ambulanzgebühren  bevorstehen könnte, da dann die wahrscheinliche Ambulanzgebühr-Paralmentsmehrheit (ÖVP, FPÖ, NEOS) für die nächste Zeit kein Risiko mehr eingeht, eine wichtige Wahl zu verlieren. Sollte man sich dennoch nicht zu Ambulanzgebühren durchringen können, sollte man zumindest die die gesetzlichen Grundlage schaffen, die es einzelnen Bundesländern ermöglicht, die Gebühr zu erheben.

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